Antrag 57/II/2017 Ruf die Hebamme an! Wie denn? Wir ham keene mehr!

Status:
Erledigt

Warum brauchen wir Hebammen und Entbindungspfleger?

Entschließt sich eine Person dazu, ein Kind zu bekommen, ist es selbstverständlich, dass sie die Betreuung durch medizinisch geschultes Fachpersonal benötigt. Hebammen und Entbindungspfleger betreuen Menschen vor, während und nach einer Geburt, oft sogar eigenverantwortlich. Im Idealfall lernen sich die Hebamme/ der Entbindungspfleger und die schwangere Person schon während der Schwangerschaft kennen. Eine Betreuung durch eine Hebamme ermöglicht es den Personen, die Geburt selbstbestimmt zu planen, den Geburtsort frei zu wählen und Ängste und Sorgen anzusprechen, bevor sie zu einem Problem werden. Eine intensive 1:1 Betreuung während der Geburt, vor allem für Erstgebärende, ist enorm wichtig, damit die Geburt reibungslos verläuft und damit bei Komplikationen schnell eingegriffen werden kann. Hebammen und Entbindungspfleger vermitteln Sicherheit, beraten Gebärende kompetent und betreuen sie auf fachlich höchstem Niveau. Für uns ist es daher ein Schreckens-Szenario, dass diese Berufsgruppe derzeit vom Aussterben bedroht ist, es gibt immer weniger Hebammen und Entbindungspfleger.  Wie können wir die Versorgung gewährleisten, wenn niemand da ist?

 

Aktuelle Situation

Immer wieder lesen wir in den letzten Wochen, Monaten oder sogar Jahren Schlagzeilen in der Zeitung wie „Hebammen-Situation wird noch schwieriger“. Wir lesen Horrorgeschichten von Frauen*, die keine Hebamme finden, obwohl sie sich sofort gekümmert hätten, sobald der Schwangerschaftstest trocken war. Und diese Horrorgeschichten sind keine Einzelfälle. Es stimmt: Gerade für Frauen* im ländlichen Raum, aber auch für Frauen in großen Städten wie Berlin, ist es heutzutage geradezu unmöglich eine Hebamme zu finden. Aber woran liegt das? Diese Situation hat viele Gründe. Es beginnt mit der Ausbildung, in welcher angehende Hebammen/Entbindungspfleger schlecht bezahlt werden. Oder überhaupt keinen Ausbildungsplatz bekommen. Der Beruf der Hebamme ist bis heute sehr beliebt, es mangelt nicht an Bewerber*innen. Auf eine Stelle bewerben sich im Schnitt 7 Bewerber*innen. Ist eine Hebamme/ein Entbindungspfleger dann ausgebildet, steht sie/er* vor der Wahl: ein unterbezahlter Job im Krankenhaus, mit vielen Überstunden oder doch lieber freiberuflich mit mehr Zeit für sich, aber einem enorm hohen Armutsrisiko? Beide Optionen scheinen uns nicht sehr attraktiv. Und den Absolvent*innen auch nicht. Auch deswegen gehen viele nach Skandinavien, wo nicht nur der Ruf von Hebammen besser sind, sondern auch Arbeitsbedingungen, Bezahlung und die Regelung rund um die Haftpflichtversicherung. Die Haftpflicht ist auch eines der großen Themen, welches in den oben genannten Zeitungsartikeln oft als Auslöser des Problems geschildert wird. Und es stimmt: Die Haftpflichtbeiträge für freiberufliche Hebammen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Zahlte eine Hebamme/ein Entbindungspfleger im Jahre 2002 noch 1.500 Euro pro Jahr, so sind es 2014 schon 5.000 gewesen. Das ist nicht leistbar, wenn mensch pro Geburt nur 300-700 Euro bekommt.

 

Haftpflichtproblematik

Alle Tätigkeiten, die Hebammen und Entbindungspfleger durchführen, müssen versichert sein.  Durch die Nachhaftung, die sogar noch 30 Jahre nach der stattgefundenen Geburt greift, benötigen sie außerdem einen Versicherungsschutz, der dies mit abdeckt. Durch die lange Verjährungsfrist kann es passieren, dass die Hebamme bzw. der Entbindungspfleger erst im Rentenalter davon betroffen ist. Dadurch entsteht eine unkalkulierbare Kostensituation.

 

Für die Versicherungen sind die Kosten, um geburtshilflichen Schäden zu regulieren, in den letzten Jahren drastisch angestiegen, entstandene Kosten werden auf Hebammen und Entbindungspfleger übertragen.

 

Besonders hoch sind die Prämien bei den freiberuflich tätigen Hebammen und Entbindungspflegern. Davon betroffen sind unter anderem Beleghebammen, die nicht an einem Krankenhaus angestellt sind, dort jedoch arbeiten und ihre Leistungen mit der Krankenkasse direkt abrechnen. Laut dem Deutschen Hebammenverband werden gut 20 Prozent aller Geburten in Krankenhäusern von Beleghebammen betreut.

 

Es gibt bislang keine verlässlichen Zahlen über geburtshilfliche Schadensfälle. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) stellte im November 2015 jedoch fest, dass die Zahl der Geburtsschadensfälle stagniert, die Ausgaben für schwere Schäden aber drastisch gestiegen sind.

 

Wenn immer weniger freiberufliche Hebammen und Entbindungspfleger vorhanden sind, verlieren Gebärende das Recht auf freie Wahl des Geburtsortes. Schon jetzt gibt es große Engpässe in den Großstädten und in dünner besiedelten Gebieten Deswegen fordern wir einen Haftpflichtfonds nach skandinavischem Modell. Dort zahlen Hebammen und Entbindungspfleger nur einen Bruchteil der deutschen Versicherungsbeiträge, die Kosten für Fehler, die unter der Geburt passieren, werden aus einem steuerfinanzierten Fonds ausgezahlt. Der Deutsche Hebammenverband fordert deshalb einen Haftpflichtfonds, der für Schäden aufkommt, die über einer bestimmten Deckungssumme liegen. Damit könnte die Preisspirale bei den Prämien gestoppt werden. Diese Forderung unterstützen wir. Die Expert*innen in diesem Fall sind Fachverbände, die bei der Entwicklung ausführlich zu befragen sind. Die deutsche Politik hat zwar 2015 den sog. Sicherstellungszuschlag eingeführt, der diesem Problem Abhilfe schaffen soll, der deutsche Hebammenverband jedoch bezeichnete diese Regelung als zu kurzgreifend. Künftig soll für alle in der Geburtshilfe tätigen freiberuflichen Hebammen nur noch der Sicherstellungszuschlag gelten. Dieser gleicht jedoch nicht die vollständige Prämie von derzeit 6.274,32 Euro aus, sondern erstattet maximal 4.340,03 Euro. Für die in der Geburtshilfe tätigen Hebammen bedeutet die neue Form des Ausgleichs eine Verschlechterung.

 

Denn neben dem unvollständigen Ausgleich fallen die bisherigen Vergütungen für Haftpflichtkosten weg. Zudem muss eine Hebamme in dem Quartal, für das sie den Sicherstellungszuschlag beantragt, auch mindestens eine geburtshilfliche Leistung mit der Krankenkasse abrechnen können. Berechtigt sind nur Hebammen, die mindestens vier Geburten im Jahr betreut haben. Die Form der neu eingeführten Ausschlusskriterien macht es aber Hebammen in der Hausgeburtshilfe zukünftig unmöglich, Geburten verbindlich zu planen.

 

Gute Ausbildung auch für Hebammen

Wie oben geschildert sind die Ausbildungsbedingungen für Hebammen/Entbindungspfleger immer noch zu schlecht. Deswegen fordern wir auch hier eine Mindestausbildungsvergütung, die es ermöglicht, von der Ausbildungsvergütung zu leben. Auch fordern wir die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen für Hebammen. Hierzu ist es möglich das Instrument einer Ausbildungsplatzumlage zu nutzen, aber auch die staatlichen Hochschulen zu fördern, welche aktuell Hebammenkunde als Bachelor anbieten. Die Akademisierung dieses Berufes ist notwendig, um die europäische Vergleichbarkeit der Abschlüsse gewährleisten zu können. Deutschland ist momentan das einzige europäische Land, in dem kein Bachelor für die Ausübung der Geburtshilfe benötigt wird. Damit würde der EU-Richtline 2013/55/EU Folge geleistet werden, die vorsieht, die Abschlüsse anzugleichen.

 

Gute Ausbildung reicht uns nicht, gebt uns gute Arbeit!

Im Kranken- und Geburtshäusern haben sich die Arbeitsbedingungen von Hebammen und Entbindungspflegern deutlich verschlechtert. Die empfohlene 1:1 Betreuung ist nicht mehr umsetzbar, oft betreut eine Hebamme/ ein Entbindungspfleger mehrere Gebärende, sodass die Reaktionszeit bei Notfällen auch manchmal durch die personelle Besetzung verlängert wird. Auch leiden Hebammen und Entbindungspfleger wie viele andere Gesundheits- und Sozialberufe unter der geringen Bezahlung, oft müssen zusätzliche Versicherungsbeiträge vom eigenen Gehalt bezahlt werden.

 

Wir fordern die Umsetzung von 1:1 Betreuung bei jeder Geburt und eine angemessene Bezahlung, die der Wichtigkeit dieses Berufsstandes angemessen ist.  Hierzu müssen nicht nur die Arbeitsbedingungen verbessert, sondern auch mehr gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden. Konkret wollen wir eine deutliche Erhöhung von Pauschalen für Geburten selbst sowie ausreichende Erstattung von Material, angemessene Zuschläge für Dienstleistungen wie 24h-Rufbereitschaft und einen besseren Stundenlohn für alle Vor- und Nachsorgeleistungen. Hebammen und Entbindungspfleger müssen entlastet werden!

 

In diesem Jahr hat beispielsweise der Berliner Senat einen runden Tisch einberufen, um der Situation rund um die Hebammen herr/frau zu werden. Doch diese Debatte muss bundesweit geführt werden und muss konkrete Verbesserungen für Hebammen und Entbindungspfleger zur Folge haben. Wir müssen bei diesem Thema endlich handeln.

 

Deshalb fordern wir:

  • einen Haftpflichtfonds, wie vom Deutschen Hebammenverband gefordert
  • mehr Ausbildungsplätze und bessere Bedingungen für Hebammen/Entbindungspfleger
  • mehr gutbezahlte Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen für Hebammen/Entbindungspflegerinnen in den Krankenhäusern
  • eine Mindestausbildungsvergütung
  • dass die Vergütung der Hebammen soll tariflich gesichert wird

 

dass es keinen Abbau der Arbeitsplätze durch sinkende Geburtsraten geben soll

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 56/II/2017 (Konsens)