Antrag WV247/I/2018 Wahlrechtsreform

Die SPD-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich konstruktiv an einer Wahlrechtsreform mitzuwirken, die die Zahl der Mitglieder des Bundestags reduziert.

Empfehlung der Antragskommission:
reject (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

LPT I/2018: Überwiesen an ASJ

 

Stellungnahme ASJ Berlin: „Wahlrechtsreform“

 

Der ASJ-Landesvorstand empfiehlt die Annahme des Antrags in folgender veränderter Fassung:

Die SPD-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich für eine Wahlrechtsreform einzusetzen, die dazu beiträgt, dass die tatsächliche Anzahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages die gesetzliche Mitgliederzahl von 598 nicht wesentlich überschreitet. Die Einführung einer absoluten Obergrenze, mit der Abweichungen zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung des Parlaments und dem Stimmenverhältnis bei der Bundestagswahl billigend in Kauf genommen würden, kommt dabei nicht in Frage und ist abzulehnen.

 

Begründung:

1. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Deutschen Bundestags von 598 Abgeordneten gem. § 1 Abs. 1 BWahlG wird tatsächlich häufig überschritten. Derzeit sind es 709 Abgeordnete. Damit ist der 19. Deutsche Bundestag der größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Grund dafür sind Überhangmandate, die einer Partei zustehen, die in einem Land mehr Direktmandate erringt, als ihrer Landesliste nach dem Anteil der Zweitstimmen zustehen (derzeit 46), sowie Ausgleichsmandate, die hinzutreten, um durch Überhangmandate entstehende Abweichungen vom Verhältnis der Zweitstimmen auszugleichen (derzeit 65).

 

Ausgleichsmandate wurden im Rahmen der Wahlrechtsreform 2013 eingeführt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 das bis dahin geltende Wahlrecht teilweise für verfassungswidrig erklärt hatte. Das ausgleichslose Anfallen von Überhangmandaten in einem Umfang, der den Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufheben könne, sei mit den Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien nicht zu vereinbaren (BVerfGE 131, 316, 357).

 

2. Es ist politisch sinnvoll, wesentliche Überschreitungen der gesetzlichen Mitgliederzahl des Deutschen Bundestags durch Änderungen des Wahlrechts zu vermeiden. Eine zu hohe Mitgliederzahl verursacht hohe Kosten und sorgt auch dafür, dass das Parlament an Arbeitsfähigkeit einbüßt und das Gewicht der einzelnen Abgeordneten relativ gesehen abnimmt.

 

Eine Wahlrechtsänderung ist auch geboten, weil die aktuelle Fragmentierung des Parteiensystems absehbar dazu beitragen kann, dass wesentliche Überschreitungen der gesetzlichen Mitgliederzahl – wie aktuell – auch in Zukunft häufiger auftreten und noch gravierender werden.

 

3. Um die Überschreitung der Mitgliederzahl durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu reduzieren, sind mehrere Änderungen des Wahlrechts denkbar:

  1. Die Zahl der Ausgleichsmandate könnte durch eine absolute Höchstzahl (Kappungsgrenze) begrenzt werden. Dies hat etwa der damaligen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorgeschlagen.
  2. Überhangmandate einer Partei in einem Land könnten mit Zweitstimmenmandaten in anderen Ländern verrechnet werden.
  3. Die Anzahl der Wahlkreise könnte verringert werden. Dadurch würde die Zahl errungener Direktmandate weniger häufig die Mandatszahl aufgrund der Zweitstimmen überschreiten.

 

4. Alle diese Rechtsänderungen bringen wesentliche Nachteile mit sich, nämlich die Beeinträchtigung der parteipolitischen (a.) oder der föderalen Proportionalität des Parlaments (b.) oder die flächenmäßige Vergrößerung von Wahlkreisen (c.).

 

In besonderem Maße nachteilig wäre jedoch die Einführung einer absoluten Kappungsgrenze (a.), denn dadurch würden Abweichungen zwischen der Zusammensetzung und der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestags und den Stimmenverhältnissen bei der Bundestagswahl nicht nur möglich, sondern mit Blick auf das derzeitige Bedürfnis nach Ausgleichsmandaten sogar sehr wahrscheinlich. Von solchen Abweichungen würden die Parteien profitieren, die besonders viele Direktmandate und dadurch auch mehr Überhangmandate erringen. Potentiell könnte eine Kappungsgrenze sogar dazu führen, dass sich eine politische Mehrheit in der Bevölkerung im Deutschen Bundestag in der Minderheit befindet.

 

Eine derartige – bei Einführung einer Kappungsgrenze bewusst in Kauf genommene – mangelnde Proportionalität der Zusammensetzung des Deutschen Bundestags würde einen enormen Schaden für seine Legitimität bedeuten und ist mit den Grundsätzen der Verhältniswahl nicht zu vereinbaren. Verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf die Gleichheit der Wahl gem. Art. 38 Abs. 1 GG und die Chancengleichheit der Parteien gem. Art. 21 Abs. 1 GG drängen sich auf. Die Kappungsgrenze ist daher kein geeigneter Weg, die tatsächliche Mitgliederzahl des Deutschen Bundestags zu begrenzen, und kann kein Bestandteil eines Kompromisses sein.