Antrag 71/I/2017 Die Bürger*innenversicherung nach der Bundestagswahl 2017 umsetzen

Status:
Erledigt

Wir fordern die Bürger*innenversicherung als eine Bedingung für den Eintritt der SPD eine neue Koalition auf Bundesebene nach der Bundestagswahl 2017 zu machen, sollte das Wahlergebnis eine Koalitionsoption für die SPD eröffnen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will eine Bürger*innenversicherung. Sie kann eine Garantie der Teilhabe aller am medizinischen Fortschritt.

 

Zentrale Vorgaben für die Finanzierung der Bürgerversicherung sind dabei für uns: Alle zahlen ein, Arbeitgeber*innen, Arbeitnehmer*innen, Beamt*innen und Selbstständige. Außerdem werden neben dem Lohn auf weitere Einkommen Beiträge bezahlt. Die Umsetzung einer Bürgerversicherung in einem Schritt ist unrealistisch. Zur pragmatischen und praxistauglichen Umsetzung der Bürgerversicherung fordern wir die Umsetzung von fünf Elementen, die auch unabhängig voneinander wirken:

 

  • Die Krankenversicherung wird wieder paritätisch von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen bezahlt.
  • Alle Einkommensarten werden mit zu definierenden Freibeträgen beitragspflichtig. Hierzu wird eine zweite Säule der Beitragsbemessung eingezogen. Die Beitragsbemessung für die zweite Säule erfolgt über die Finanzämter. Die Einnahmen werden für z.B. Investitionen in die Gesundheitsinfrastruktur und Präventionsmaßnahmen verwendet.
  • Die Beitragsbemessungsgrenze wird auf das Niveau der Rentenversicherung erhöht, um mit den zusätzlichen Einnahmen wieder Leistungen wie Hörgeräte, Sehhilfen und Zahnersatz finanzieren zu können. Parallel dazu wird die Versicherungspflichtgrenze ebenfalls angehoben.
  • Die Unterschiede bei der ärztlichen Vergütung von gesetzlich Versicherten und privat Versicherten werden aufgehoben, um u.a. die bedarfsgerechte Verteilung von Vertragsärzt*innen zu erleichtern.
  • Beamt*innen erhalten wieder volle Wahlfreiheit ihrer Krankenversicherung. Bei Wahl der gesetzlichen Krankenversicherung übernimmt der Dienstherr den Arbeitgeberanteil.
  • Die Mindestbemessungsgrenze für Selbstständige in der GKV wird deutlich abgesenkt.

 

Die SPD hat 2005, 2009 und 2013 Bundestagswahlkampf mit dem erklärten Ziel der Umsetzung einer Bürgerversicherung gemacht.

 

Die Vermittlung dieser zentralen und richtigen Botschaft reicht im nächsten Bundestagswahlkampf nicht mehr aus. Nur wenn klar ist, wie die Umsetzung erfolgen kann, kann die SPD ein weiteres Mal erfolgreich für sich mit ihrer Bürgerversicherungsidee werben. Die fünf geforderten Elemente stellen einen Weg da, wie der Weg für die Bürgerversicherung in einer Wahlperiode geöffnet werden kann.

 

Jeder Schritt für sich erfüllt dabei unseren Anspruch einer besseren gesundheitlichen Versorgung und gerechterer Finanzierung. Dabei ist die Reihenfolge der Schritte eher unerheblich und jeder Schritt ist prinzipiell unabhängig vom anderen umsetzbar.

 

Die Krankenversicherung wird wieder paritätisch finanziert, das heißt: Arbeitgeber*innen bzw. die Rentenversicherung zahlen wieder zur Hälfte die Krankenversicherungsbeiträge. Der Deckel bei den eingefrorenen Arbeitgeber*innenbeiträgen wird aufgehoben. Der Zusatzbeitrag, der für Arbeitnehmer*innen bis 2020 nach unterschiedlichen Berechnungen auf über 2 Prozentpunkte ansteigen würde, entfällt. Arbeitnehmer*innen würden deutlich entlastet, Arbeitgeber*innen nur unwesentlich belastet.

 

Alle Einkommensarten werden beitragspflichtig, das heißt: Neben Arbeitseinkommen und Renten werden aus Gerechtigkeitsgründen auch auf andere Einkommen wie Kapitaleinkünften Beiträge für die Krankenversicherung erhoben. Damit nicht kleine Einkünfte belastet werden, werden Freibetragsgrenzen eingezogen. Um größere Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze heranzuziehen und damit kleine Vermögen zu entlasten, ist eine zweite Beitragssäule notwendig.

 

Die Beitragserhebung erfolgt über die Finanzämter. Diese Beiträge könnten dem Gesundheitsfonds gutgeschrieben werden, sie könnten aber auch direkt als Steuerzuschüsse zur Finanzierung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung wie zur Krankenhausfinanzierung verwandt werden. Diese direkte Finanzierung von Gesundheitsinfrastruktur wäre unbürokratisch, würde den heutigen Investitionsstau abbauen und die Daseinsvorsorge im Bereich Gesundheit stärken. Die Beitragseinnahmen der Krankenkassen würden vollständig für die medizinische Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stehen.

 

Mehr Gesundheitsleistung durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, das heißt: Die Beitragsbemessungsgrenze wird zumindest auf das Niveau der Rentenversicherung erhöht. Das bringt eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und würde eine Leistungsausweitung für alle Versicherten ermöglichen. Sehhilfen, Hörgeräte oder Zahnersatz könnten wieder als Sachleistung in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden. Damit dies gelingt, ist auch die Versicherungspflichtgrenze anzuheben. Sie entfällt mit der vollständigen Umsetzung der Bürgerversicherung. Damit haben alle Bürger*innen unabhängig von ihren Einkünften die freie Wahl ihrer Krankenversicherung.

 

Die Unterschiede bei der ärztlichen Vergütung von gesetzlich Versicherten und privat Versicherten aufheben, das heißt: Die beiden Vergütungsordnungen werden zusammengeführt. Hierbei sind Übergangslösungen denkbar, die u.a. davon abhängen, ob es z.B. eine befristete Wechselmöglichkeit für PKV–Mitglieder in die GKV geben soll. Ein einheitliches Bewertungssystem ärztlicher Leistungen in einer Bürgerversicherung würde eine bedarfsgerechte Verteilung von Vertragsärzt*innen erleichtern, weil Fehlanreize durch das privatärztliche Honorarsystem entfallen.

 

Alle müssen ihre Krankenversicherung wählen können, das heißt: Auch den 1,7 Millionen Beamt*innen bei Bund, Land und Kommunen muss ein Beitragszuschuss des Arbeitgebers nach § 257 SGB V zustehen. Ihnen muss alternativ zu den Beihilfeansprüchen im Krankheitsfall ein Anspruch auf Arbeitgeber*innenzuschuss eingeräumt werden. Erst dann können auch Beamt*innen die Krankenversicherung wählen. Selbstständige gehören überaus häufig zur Gruppe der Beitragsschuldner*innen, da die Beiträge vielfach für sie zu hoch angesetzt sind. Das liegt an der gesetzlich zu hoch angesetzten Mindestbemessungsgrenze, die ein fiktives Einkommen annimmt, welches vor allem bei Soloselbstständigen nicht vorhanden ist. Die Mindestbemessungsgrenze muss daher abgesenkt werden. Für andere Versicherte gilt bisher, wer ein Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze bezieht, die jährlich angepasst wird und ab 2017 bei 4800,- Euro liegt, kann sich einmalig zwischen privater oder gesetzlicher Krankenversicherung entscheiden. Mit der vollständigen Umsetzung der Bürgerversicherung entfällt die Versicherungspflichtgrenze, damit alle Bürger*innen unabhängig vom Einkommen  bei der Wahl ihrer Krankenversicherung gleichgestellt werden.

 

Mit diesen fünf Elementen würde in unserem Krankenversicherungssystem mehr Solidarität, mehr Versorgungsqualität und mehr Verteilungsgerechtigkeit erreicht. Für alle Versicherten wären diese Punkte direkt spürbar. Die Bürgerversicherung wäre nicht abstrakt, sondern für alle Versicherten Realität.

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 72/I/2017 (Konsens)