Antrag 55/I/2016 Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos

Status:
Annahme

In der Silvesternacht auf 2016 waren in Köln und anderen deutschen Städten viele Frauen sexualisierter Gewalt an öffentlichen Plätzen ausgesetzt. Diese Taten müssen zügig und umfassend aufgeklärt und bestraft werden. Wir brauchen mehr Polizei in Bund und Ländern, um Straftaten aufzuklären, Täter zu ermitteln und Straftaten zu verhindern. Es darf keine Angsträume geben – wir wollen uns sicher fühlen auf Plätzen, Straßen, in Bahnen und an allen Orten. Die Schutzlücken im Straftatbestand der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung müssen endlich geschlossen werden.

 

Wir fordern, dass die Betroffenen jetzt alle Unterstützung und Hilfe erhalten, die sie benötigen. Wir sind solidarisch mit all denjenigen, die sexualisierte Gewalt und Belästigung erfahren und erfahren haben.

 

Der konsequente Einsatz gegen sexualisierte Gewalt jeder Art ist unabdingbar und von höchster Priorität. Es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populisten und Populistinnen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird. Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich „Anderen“ sind – kurzum, all jene, die rechte Populisten und Populistinnen als „nicht deutsch“ verstehen. Sie darf auch nicht nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn die Opfer weiße Frauen sind. Der Einsatz gegen sexualisierte Gewalt muss jeden Tag ausnahmslos politische Priorität haben – auf öffentlichen Plätzen, in der häuslichen Umgebung und auch in Unterkünften für Geflüchtete.

 

Sexualisierte Gewalt ist ein fortwährendes strukturelles gesellschaftliches Delikt, das uns alle betrifft. 2014 ergab eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, dass mehr als die Hälfte aller Frauen bereits sexuell belästigt wurde und ein Drittel sexualisierte und/oder physische Gewalt erlebte. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist jährlich mehr als 7.300 angezeigte Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen in Deutschland aus, das sind zwanzig jeden Tag. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Alle Menschen sollen sich von klein auf, unabhängig von ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, Religion, Lebensweise oder Herkunft sicher fühlen und vor verbalen und körperlichen Übergriffen geschützt sein: egal ob auf der Straße, zu Hause, bei der Arbeit oder im Internet. Ausnahmslos. Das sind die Grundlagen einer freien Gesellschaft.

 

Wir fordern:

 

  1. Die Arbeit der Beratungsstellen muss gestärkt und ihr Angebot ausgebaut werden, einschließlich Therapiemöglichkeiten. Frauen brauchen einen besseren und schnelleren Zugang zu Therapieplätzen. Dafür muss bundesweit flächendeckend eine ausreichende Anzahl von Beratungsstellen und Frauenhäuser existieren, um allen Frauen einen Zugang zu ermöglichen. Die Beratungs- und Therapieangebote, inklusive technischer Ausstattung und umfassender Fortbildungsangebote sind finanziell ausreichend abzusichern. Alle Beratungsstellen und -angebote müssen barrierefrei sein.
  2. Das Sexualstrafrecht muss modernisiert und zum umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung den Anforderungen der Istanbul-Konvention angepasst werden. Wir unterstützen Bundesminister Heiko Maas, der mit seinem Gesetzentwurf wichtige erste Schritte in die richtige Richtung unternimmt. Wir fordern die ParlamentarierInnen der SPD-Bundestagsfraktion aber auf, diesen Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen so anzureichern, dass den Anforderungen der Istanbul-Konvention vollständig Rechnung getragen wird. Jede Form des nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs muss strafbar sein. Nein heißt Nein! Und wir fordern, dass sexuelle Belästigung in Deutschland zu einem eigenständigen Straftatbestand wird.
  3. Mehr öffentliche Aufklärungsarbeit hilft, Gewalt zu vermeiden, und signalisiert den Betroffenen, dass sie sich Hilfe holen und mit gesellschaftlicher Unterstützung rechnen können. Wir wollen dafür sensibilisieren, dass die Gefahr, Sexismus und sexualisierte Gewalt zu erleben, im engen sozialen Umfeld besonders groß ist und in allen gesellschaftlichen Gruppen vorkommt.
  4. Auch eine geschlechtersensible Pädagogik kann (sexualisierter) Gewalt vorbeugen. Dazu zählt nicht zuletzt die Aufklärung über Geschlechterstereotype und die Bedeutung von Sprache.
  5. Polizei und Justiz müssen geschult werden, damit es überhaupt zur Strafverfolgung kommt und in diesen Prozessen sensibel und respektvoll mit Betroffenen umgegangen wird.
  6. Die Debatte über sexualisierte Gewalt muss offen, kritisch und differenziert geführt werden. Dazu gehört die Analyse, Aufarbeitung und Bekämpfung von soziokulturellen und weltanschaulichen Ursachen von Gewalt. Dringend muss auch über Auswirkungen gesellschaftlicher Stigmatisierung von Betroffenen sexualisierter Gewalt gesprochen werden. Sexismus und Rassismus sind nicht Probleme „der Anderen”: Wir alle sind von struktureller Diskriminierung geprägt und müssen erlernte Vorurteile erst einmal reflektieren, um sie abzulegen.
  7. Betroffene sexualisierter Gewalt müssen ernst genommen werden.
  8. Wer Zeuge oder Zeugin von sexualisierter Gewalt und Sexismus wird, sollte nicht wegschauen, sondern eingreifen – von Hilfe und Beistand bei sexualisierten Übergriffen bis zum Einspruch gegen sexistische Sprüche, „Witze“ oder Werbung.
  9. Die mediale Berichterstattung über sexualisierte Gewalt darf die Opfer nicht verhöhnen und die Taten nicht verschleiern. Täter sollten nicht als „Sex-Gangster” oder „Sex-Mob” beschrieben – da sexualisierte Gewalt nichts mit Sex sondern im Wesentlichen mit Machtdemonstration zu tun hat – und häusliche Gewalt nicht als „Familien-” oder „Beziehungsdrama” verharmlost werden.
  10. Sexismus und andere Diskriminierungsformen müssen als Nährboden für sexualisierte Gewalt verstanden und als reale und bestehende Probleme in unserer Gesellschaft anerkannt werden. Es muss erkannt und ernst genommen werden, wie die mediale Darstellung u.a. weiblicher Körper als Lustobjekte mit sexualisierter Gewalt verknüpft ist. Sexismus darf weder im Alltag noch in der Werbung und in den Medien Platz haben.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

 

 

 

Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos

In der Silvesternacht auf 2016 waren in Köln und anderen deutschen Städten viele Frauen sexualisierter Gewalt an öffentlichen Plätzen ausgesetzt.

 

Wir fordern:

  1. Die Arbeit der Beratungsstellen muss gestärkt und ihr Angebot ausgebaut werden, einschließlich Therapiemöglichkeiten. Frauen brauchen einen besseren und schnelleren Zugang zu Therapieplätzen. Dafür muss bundesweit flächendeckend eine ausreichende Anzahl von Beratungsstellen und Frauenhäuser existieren, um allen Frauen einen Zugang zu ermöglichen. Die Beratungs- und Therapieangebote, inklusive technischer Ausstattung und umfassender Fortbildungsangebote sind finanziell ausreichend abzusichern. Alle Beratungsstellen und -angebote müssen barrierefrei sein.
  2. Das Sexualstrafrecht muss modernisiert und zum umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung den Anforderungen der Istanbul-Konvention angepasst werden. Wir unterstützen Bundesminister Heiko Maas, der mit seinem Gesetzentwurf wichtige erste Schritte in die richtige Richtung unternimmt. Wir fordern die ParlamentarierInnen der SPD-Bundestagsfraktion aber auf, diesen Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen so anzureichern, dass den Anforderungen der Istanbul-Konvention vollständig Rechnung getragen wird. Jede Form des nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs muss strafbar sein. Nein heißt Nein! Und wir fordern, dass sexuelle Belästigung in Deutschland zu einem eigenständigen Straftatbestand wird.
  3. Mehr öffentliche Aufklärungsarbeit hilft, Gewalt zu vermeiden, und signalisiert den Betroffenen, dass sie sich Hilfe holen und mit gesellschaftlicher Unterstützung rechnen können. Wir wollen dafür sensibilisieren, dass die Gefahr, Sexismus und sexualisierte Gewalt zu erleben, im engen sozialen Umfeld besonders groß ist und in allen gesellschaftlichen Gruppen vorkommt.
  4. Auch eine geschlechtersensible Pädagogik kann (sexualisierter) Gewalt vorbeugen. Dazu zählt nicht zuletzt die Aufklärung über Geschlechterstereotype und die Bedeutung von Sprache.
  5. Polizei und Justiz müssen geschult werden, damit es überhaupt zur Strafverfolgung kommt und in diesen Prozessen sensibel und respektvoll mit Betroffenen umgegangen wird.
  6. Die Debatte über sexualisierte Gewalt muss offen, kritisch und differenziert geführt werden. Dazu gehört die Analyse, Aufarbeitung und Bekämpfung von soziokulturellen und weltanschaulichen Ursachen von Gewalt. Dringend muss auch über Auswirkungen gesellschaftlicher Stigmatisierung von Betroffenen sexualisierter Gewalt gesprochen werden. Sexismus und Rassismus sind nicht Probleme „der Anderen”: Wir alle sind von struktureller Diskriminierung geprägt und müssen erlernte Vorurteile erst einmal reflektieren, um sie abzulegen.
  7. Betroffene sexualisierter Gewalt müssen ernst genommen werden.
  8. Wer Zeuge oder Zeugin von sexualisierter Gewalt und Sexismus wird, sollte nicht wegschauen, sondern eingreifen – von Hilfe und Beistand bei sexualisierten Übergriffen bis zum Einspruch gegen sexistische Sprüche, „Witze“ oder Werbung.
  9. Die mediale Berichterstattung über sexualisierte Gewalt darf die Opfer nicht verhöhnen und die Taten nicht verschleiern. Täter sollten nicht als „Sex-Gangster” oder „Sex-Mob” beschrieben – da sexualisierte Gewalt nichts mit Sex sondern im Wesentlichen mit Machtdemonstration zu tun hat – und häusliche Gewalt nicht als „Familien-” oder „Beziehungsdrama” verharmlost werden.
  10. Sexismus und andere Diskriminierungsformen müssen als Nährboden für sexualisierte Gewalt verstanden und als reale und bestehende Probleme in unserer Gesellschaft anerkannt werden. Es muss erkannt und ernst genommen werden, wie die mediale Darstellung u.a. weiblicher Körper als Lustobjekte mit sexualisierter Gewalt verknüpft ist. Sexismus darf weder im Alltag noch in der Werbung und in den Medien Platz haben.

 

 

Stellungnahme(n):
  Stellungnahme Landesgruppe der Berliner SPD - Bundestagsabgeordneten   55/I/2016 Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus Das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (BT-Drs. 18/8210, 18/9097) wurde am 7. Juli 2016 im Deutschen Bundestag verabschiedet und ist am 10. November 2016 in Kraft getreten. Auf maßgebliche Initiative der SPD-Bundestagsfraktion wird durch die neuen gesetzlichen Regelungen nunmehr der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht erfasst und es werden alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt. Ein Nein des Opfers reicht somit aus, um die Strafbarkeit zu begründen. Dadurch konnte die so genannte Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ratifiziert werden. Zur Prävention von Gewalt gegen Frauen hält die SPD-Bundestagsfraktion es auch für erforderlich, kulturell und historisch geprägte geschlechtsspezifische Rollenmuster, aufzubrechen. Mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, mit dem Entgelttransparenzgesetz, mit dem ElterngeldPlus haben wir in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, die Geschlechterstereotypen aufzubrechen. Außerdem begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion grundsätzlich die Forderung nach Schulungen von Polizei und Justiz, verweist hier aber auf die Zuständigkeit der Länder.